Eine Bitte allein hat kaum Gewicht – weder im realen, noch im übertragenen Sinn. Es ist die Macht der Gemeinschaft, die aus dem einzelnen Beitrag ein großes Ganzes entstehen lässt – das verdeutlicht eine Kunstinstallation der Katholischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart-Mitte: 2600 Faltkarten ergeben nun in Rot- und Grautönen ein Mosaik des Glaubens und der Gemeinde.
Geschaffen hat die Installation die Nord-Stuttgarter Künstlerin muche, die zwischen dem ersten Advent und Mariä Lichtmess Faltkarten in drei Stuttgarter Innenstadtkirchen auslegte und darum bat, sie mit persönlichen Bitten, Gebeten oder Dankesworten zu versehen. Mit Klebepunkten versiegelt, kehrten sie schließlich in ihr Feuerbacher Atelier an der Kurze Straße zurück und wurden dort zum Motiv aus blutendem Herz und den Zeichen für Alpha und Omega zusammengefügt. Es war freilich zunächst ein Projekt mit vielen Fragezeichen: ,,Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ob sich wohl genügend Menschen beteiligen und ob sie die Karten dann auch wieder zurückschicken“, erzählt muche. Die Sorge erwies sich als unbegründet: 2600 Karten gingen insgesamt bei ihr ein, einige davon sogar aus Paris und machten zum Teil sogar Doppelbelegungen nötig. Selbst nach Verstreichen des offiziellen Abgabetermins kamen immer noch Karten hinzu. Ein Beweis, wie wichtig es den Menschen war, doch noch etwas beizusteuern.
Pfarrer Michael Heil machte für sich selbst eine Adventsaktion daraus, schrieb an jedem Tag zehn Karten, bat darin um Hilfe für die Menschen in seinem Umfeld, die sich gerade in einer schwierigen Situation befanden. ,,Es war schön, dafür jeden Tag ein Stück aus dem Alltag herauszugehen.“ Und auch wenn er die eigenen Karten nun nicht mehr herauskenne, sei es gut zu wissen, dass sie „dort oben“ mit dabei sind.
Die Künstlerin muche berichtet außerdem von Gemeindemitgliedern, die es als erleichternd empfanden, ihre Sorgen und Bitten niederzuschreiben, sie dabei aber auch loslassen zu können.
Sie hatte schon zuvor Kunstprojekte in St. Georg durchgeführt, die aktuelle Installation sollte aber umso mehr im Zeichen der Gemeinschaft stehen. ,,Nachdem in Deutschland immer mehr christliche Gotteshäuser entweiht oder auch abgerissen werden und jedes Jahr hunderttausende Menschen aus der Kirche austreten, etwa weil sie Steuern sparen möchten, wollte ich ein deutliches Zeichen dagegen setzen.“
Viele Gedanken sind in das Kunstwerk geflossen: So stünden etwa die Klebepunkte für die Wundmale Christi. Andererseits sind sie auf der Karte nur halb sichtbar, werden aber durch den benachbarten Halbkreis wieder vervollständigt. Eine Handreichung von Karte zu Karte, quasi.
Das Ergebnis wirkt immer wieder neu und anders: Durch die unterschiedlichen Farbtöne scheint das Herzmotiv schon bei normalem Tageslicht fast zu pulsieren. Wird die Installation zusätzlich beleuchtet, tritt mal der kreuzförmige Durchblick auf das Wandbild „Christus als Welterlöser“ von Josef Eberz in den Vordergrund, mal das Kartenmosaik selbst. In den kommenden Wochen will man so immer neue Akzente in den Gottesdiensten setzen, berichtet Pfarrer Heil: ,,Wir sind gerade dabei, das zu erkunden.“ Das Mosaik, das auf seine Art auch ein Abbild der christlichen Gemeinschaft ist, wird bis zur Osternacht zu sehen sein. Danach verwahrt muche die Faltkarten ein Jahr lang und übergibt sie 2020 ungeöffnet dem Osterfeuer. Übrig bleiben die transparenten Planen. Sie wird die Künstlerin mit dem Werdegang in Bühnen- und Theaterdesign vielleicht bei einem anderen Projekt zum Einsatz bringen, idealerweise zu den Themen christlicher Glaube und Gemeinschaft, wie sie zum Abschied sagt: ,,Ideen habe ich noch viele.“
Ich freue mich, heute hier sprechen zu dürfen und muss doch einräumen, leicht ist die Aufgabe nicht. Nicht nur wir Kunsthistoriker, sondern der Mensch an sich neigt dazu, Dinge zu kategorisieren – zwangsläufig. Um der Flut an Reizen und Impulsen, die uns permanent umgeben, einigermaßen bestehen zu können, sind wir gezwungen, einzuordnen und festlegen, Dinge zu benennen und zu definieren. Kategorien sind Fixpunkte, die uns Orientierung geben, auch wenn es sich mitunter um eine trügerische Sicherheit handelt. Denn Sie wissen es selbst: unsere Welt ist nicht so eindimensional, wie wir sie uns der Einfachheit halber zurechtlegen, hinter den Phänomen und Erscheinungen stecken oftmals Ambivalenzen und Widersprüche, auch wenn wir sie ignorieren.
Auch das Werk von muche ist alles andere als eindimensional, sondern im Gegenteil eher heterogen. Sie ist keine Künstlerin, die eine Methode oder formale Fragestellung stringent durchdeklinierte oder auf Wiedererkennbarkeit setzte. Die Techniken sind vielfältig, wir haben es mit Bildwerken, aber auch mit Skulpturalem zu tun. Hier großformatige Gemälde mit elegant dahinfließenden Frauenleibern, dort Objekte, etwa ein gepunktetes Hündchen oder ein mit Fratzen oder Totenköpfen dekorierter Riesenpilz. Muche malt, zeichnet, sprayt, sie collagiert und klebt Materialen auf die Fläche. Um Raster aufzubringen, nutzt sie Lochbleche, selbst geschnittene Schablonen oder auch mal einen ausrangierten Duschvorleger.
Auch stilistisch lassen sich die Arbeiten von muche nicht ohne weiteres kategorisieren und in eine Schublade stecken. Es gibt ornamentale Partien, Muster, Raster, Abstrahiertes wie fotografisch Präzises. Die Farben können laut, schrill und herausfordernd sein – oder lyrisch und leise.
Immerhin: Es gibt unverkennbar eine Nähe zur Street-Art, zu Graffiti und Comic. Fantasiegestalten tauchen auf, Monster, Tiere, Figuren, die zeichenhaft und reduziert sind und manchmal flankiert von Sprechblasen. Trotzdem ist Muche keine Graffiti- oder Streetart-Künstlerin im klassischen Sinne, sondern scheint eher das zu nutzen, was sie benötigt. Das können auch Elemente der Karikatur und Illustration sein. Aber es gibt auch Anklänge an die Pop Art oder an die Raster von Sigmar Polke. Manchmal meint man sogar, Jugendstilelemente zu entdecken oder finden sich Motive, die direkt von Fotografien übernommen wurden.
Muche ist eine Sammlerin, die Material, Farben, Formen zusammenträgt, Fotografien von Menschen, von Gesichtern. Deshalb kommt es gelegentlich zu Deja-Vue-Erlebnissen, weil Motive vertraut wirken. Man kann prominente Persönlichkeiten entdecken, Comichelden, den Papst, Mickey Mouse oder Marilyn Monroe. Entsprechend lässt sich konstatieren: Muche ist eine gegenständliche Malerin. Aber stimmt das tatsächlich in aller Konsequenz?
Schauen wir uns die Arbeiten genauer an. Ein formaler Aspekt zieht sich tatsächlich durch, sowohl bei den Skulpturen als auch den Gemälden und Papierarbeiten: Muche arbeitet an der Oberfläche. Das ist nicht selbstverständlich. Jahrhunderte lang rangen Künstler damit, malerisch in die Tiefe vorzustoßen. Es war eine der größten Errungenschaften der Kunst, die Perspektive zu entwickeln, Räume sozusagen nach hinten zu öffnen und damit im Grund die große, weite Welt ins Bild zu holen.
Muche ist von Haus aus Bühnenbildnerin, aber in Ihrer Malerei hat sie sich ganz und gar verabschiedet vom Raum. Sie bleibt in der Fläche, es ist eine dezidierte Oberflächenmalerei, als würden die Motive und Muster nachgerade darum buhlen, an vorderster Front zu stehen. Ob es Gesichter sind oder Frauenkörper, Adler, Totenköpfe oder Tierschädel, sämtliche Motive scheinen nach vorne zu drängen, dem Betrachter entgehen springen zu wollen. Alles buhlt hier um Aufmerksamkeit, will gesehen werden.
Muche überwindet die klassische Auffassung des Raumes, indem sie ihre Motive hierarchiefrei auf die Fläche gibt. Wir haben kein Vordergrund und Hintergrund, was ja immer auch mit Bedeutung konnotiert wird. Traditionell ist das relevante Motiv jenes, das sich präsent im Bildvordergrund befindet. Wir haben es auch nicht mehr mit Bedeutungsgröße zu tun, auch kleine Elemente bieten flächengreifenden Objekten mitunter Paroli, schieben sich kess vor sie. Muche enthierarchisiert den Bildraum zugunsten einer Bildfläche, bei der sich die Motive im Nebeneinander behaupten.
Mit dieser Ablösung vom illusionistischen Tiefenraum verabschiedet sich muche zugleich von einer Malerei des Als-Ob. Es geht eben nicht mehr darum, etwas so darzustellen, als sei es real, als sei es das mimetische Abbild der sichtbaren Wirklichkeit. Natürlich können wir Gesichter ausmachen, Leiber, Figuren, Motive, die der Realität entnommen sind, aber die Bildelemente werden nicht erzählerisch in einen Dialog gebracht, sondern eher addiert, zusammengespannt, ohne eine immanente Logik vorzugaukeln. Der winkende Papst, der Hai, die riesigen Gesichter werden zwar kombiniert, aber es entsteht keine Einheit, die Malerin egalisiert ihre Motive nicht zugunsten einer geschlossenen Bildsprache. Vielmehr behalten die heterogenen Elemente ihren Charakter und verraten weiterhin ihre Herkunft.
So bleiben diese ganz unterschiedlichen Bildmotive autonom und bei sich, sie prallen aufeinander, ohne sich organisch zu verbinden. Die Formen werden nicht um der Harmonie willen vereinheitlicht, sondern in ihrem Zusammenspiel bleiben Widerstände und Reibungsfläche sichtbar.
Damit steht muche in der Tradition zeitgenössischer Malerei, die sich stets als solche zu erkennen gibt. Schluss mit den Lügen, dem falschen Schein. Der Künstler versteht sich nicht länger als Chefmaschinist in einem gut geschmierten Illusionsapparat, sondern er legt die Strategien seiner Malerei offen. Muche verführt uns als Betrachter nicht, sondern konfrontiert uns.
Die Künstlerin selbst behauptet, dass sie bei der Arbeit viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffe. Es ist also ein offener, nicht zielgerichteter Prozess. Auch inhaltlich geht es nicht um vorformulierte Botschaften. Diese Bilder beziehen keine Stellung, es wird keine These formuliert und argumentativ durchgespielt. Sie wachsen vielmehr im Arbeitsprozess, ein Motiv bringt das nächste hervor. Muche besitzt keinen Strategieplan, ihre Bilder entwickeln sich im Malen, im additivien Vorgehen, bei dem hier und dort Formen und Farben aufploppen, sich selbstständig machen, Sichtbarkeit beanspruchen.
Das ist, was nur die Malerei kann: dass wir ein Objekt oder Wesen erkennen, dabei haben wir es ja mit nichts als flüchtigen Farbflecken zu tun. Schnöde Punkte können Muster sein – oder aber eine gekräuselte Stirn darstellen. Wenn Muche auf ein Gesicht ein abstraktes Gitter aus breiten Strichen legt, so entsteht das Wunder der Malerei, das es möglich macht, die verschiedenen Motive gleichzeitig zu sehen, und doch die Bildebenen und Denkräume unterscheiden zu können. Die Malerei amalgamiert Körper und Objekte, und schafft damit neue Zusammenhänge jenseits der uns vertrauen Logik.
Es ist aberwitzig und immer wieder faszinierend, wie selbstverständlich wir in der Lage sind, die verschiedenen Bildelemente auszumachen, selbst wenn sie schwindelerregend miteinander verzahnt sind. Wir können zuordnen, welche Linie zu welchem Motiv gehört, wir wissen, was Raster und Struktur ist – und sehen doch alles im orchestralen Zusammenspiel.
Dabei ist es durchaus möglich, zu interpretieren. Es ist uns als Betrachtern unbenommen, Muches Motive in einen Dialog zu bringen. Es treibt uns sogar förmlich dazu, Bezüge zu erstellen, logische Zusammenhänge zu formulieren. Der lässige Macker mit Sonnenbrille und Bart und der Totenschädel lassen sich leicht als Memento mori lesen, als Symbol für Vergänglichkeit – warte nur, bald ruhest auch du.
Wenn wir eine Schar von Menschen sehen, flankiert von dem Text „Come in, we’re open“ und zugleich „Stop“, so liegt es auf der Hand, an die Flüchtlingsthematik zu denken und an den Papst, der die Fremden willkommen heißt. Aber selbst wenn sich feine Fäden zwischen den Bildelementen spinnen lassen, entziehen sich die Arbeiten von muche in der Regel einer eindeutigen Lesart. Sie öffnen eher Denkräume, lassen Assoziationen zu, lösen Konnotationen und Stimmungen aus.
Wobei auch die Künstlerin immer wieder überrascht feststellt, dass sinnhafte Konfrontationen entstanden sind, sich vielleicht sogar vage Botschaften formulieren, wenn Kreuz, Apfel und Schlange aufeinandertreffen. Die eigentliche Herausforderung aber ist es, nicht nach Interpretationen zu suchen, nach einem Schlüssel, der Zugang zu einem logischen Denkkosmos verschafft und es ermöglicht, das Heterogene zu dechiffrieren. Natürlich wollen wir auch hier wieder festklopfen, benennen.
Aber so, wie die Oberflächen dieser Gemälde löchrig, durchlässig, fluid sind, so ist es letztlich die Übung, auch in der Rezeption Offenheit und Durchlässigkeit zuzulassen. Statt diese vagen Szenerien flugs in eine Schublade zu stopfen, ermöglicht muche es uns, Fragen, Gedanken und Assoziationen entstehen zu lassen – um ihrer selbst willen. Ihre Arbeiten erweitern auf beiläufige Art unseren Horizont und geben uns eine Ahnung davon, dass es mehr gibt als das, was uns verlässlich und grundlegend erscheint.
Statt also schnell Halt zu suchen im Benennbaren, gibt diese Malerei uns die Chance, uns im abgesicherten Modus auf spielerische Weise damit zu konfrontieren, dass die Wirklichkeit nicht eindimensional und starr ist, sondern inhomogen, widersprüchlich und widerständig, greifbar, aber auch flüchtig, ansprechend und abweisend, logisch und surreal verrückt.
Im Grunde haben wir es mit Collagen zu tun, auch wenn hier gemalt ist, was früher mit Papier, Schere und Klebstoff auf dem Blatt vereint wurde. Muche kombiniert heterogene Elemente, sie verbindet Grafisches und Malerisches, Geometrisches und Gegenständliches. Eigene Schöpfungen reagieren auf fremdes, vorgefundenes Material. Muche ermuntert uns, uns zu öffnen für die Vielstimmigkeit der Motive, das Zusammenklingen des Verschiedenartigen.
Mit dieser Schule des Sehens befördert muche uns sozusagen in eine neue Dimension, die wir nur schwer denken können. Aber diese Malerei lehrt uns: dass es diese erweiterten Räume jenseits unserer artig geordneten Kategorien gibt. Deshalb: Trauen Sie sich, wagen Sie es, einzutauchen in die flüchtigen, haltlosen Welten, in die Muche uns entführt. Lassen Sie sich treiben, und ich bin sicher, sobald die Furcht überwunden ist, wird sie ein wohliger Hauch Freiheit anwehen.
Hier winkt der Papst, dort zeigt ein kleines, kesses Monster seine scharfen Zähnchen. Auf den Gemälden der Stuttgarter Künstlerin Muche kann man bekannte und vertraut wirkende Figuren und Motive antreffen: Mickey Mouse und Marilyn Monroe, hier Kreuz, Apfel und Schlange, dort eine Frau, die Eis isst. Die 1973 in Frankreich geborene Künstlerin ist eine passionierte Sammlerin. Sie nutzt verschiedenste Bildvorlagen und Fotografien, die sie auf der Leinwand kühn kombiniert und mit eigenen Motiven verbindet.
Im Kunsthaus Frölich kann man nun in der Ausstellung „dream“ den Bilderkosmos von Muche entdecken. Sie hat Szenografie und Bühnenbild studiert, in ihrer Malerei aber arbeitet sie ausschließlich in der Fläche. Sie will keine Illusionsräume schaffen, die die Wirklichkeit einfach nur abbilden, sondern verzahnt ganz unterschiedliche Bildelemente aus den verschiedensten Kontexten geschickt auf der Fläche. Die Körper, Gesichter, Tiere und Wesen überlagern sich oder gehen ineinander über. Die Gemälde wachsen während des Arbeitsprozesses, ein Motiv bringt das nächste hervor, Formen und Farben scheinen förmlich auf die Fläche zu drängen – und letztlich fügt sich das, was zunächst nicht zusammengehört, zu einem vielstimmigen Chor.
Das Spektrum der Techniken, die Muche nutzt, ist breit- Sie malt, zeichnet und sprayt, sie arbeitet aber auch mit Schablonen, klebt und collagiert. Immer wieder nimmt die Künstlerin dabei auch Anleihen an die Kunstgeschichte. Einzelne Bildmotive erinnern an die Pop Art oder an die fließenden Formen des Jugendstils. Es tauchen aber auch Monster auf, befremdliche Wesen und Sprechblasen, wie man es aus dem Comic oder der Street-Art kennt. Muches Farben sind hier laut und schrill, dort lyrisch zart, und zwischen das Figürliche mischen sich auch abstrakte und grafische Elemente.
Die Malerei zeigt sich in „dream“ im Kunsthaus Frölich als faszinierendes Abenteuer, das Heterogenes verbinden und wie nebenbei die Logik aushebeln kann. Nichts, das verstört -und doch ist es ein irrwitziges Schauspiel, bei dem die Betrachter in komplex verschachtelte Bildebenen und Denkwelten entführt werden.
Comic-Superhelden, Monster und Totenköpfe, Engel und der Papst – auf den Gemälden von Muche sind sie alle hübsch versammelt. Die deutschfranzösische Künstlerin verarbeitet reale Personen, fiktive Figuren, Tiere und Symbole zu surrealen Collagen. Flirrende Farben und Strukturen bilden die Folie für dieses Bildpersonal und ziehen den Betrachter in ihre visuellen Strudel. So ergehen sich Werke, die der Wahrnehmung des Betrachters spielen und ihn in einen regelrechten Rausch mitreißen.
„Ob Elemente aus der Modewelt, Stars aus Filmen oder Stoff aus Magazinen und Zeitungen – in Muches Werken vermischt sich alles zu einem farbenprächtigen Gesamtgefüge, schreibt Elisa Sautter von der Südwestbank, in deren Kundencenter Muches Arbeiten von Donnerstag, 24. November, an ausgestellt sind. Oftmals gebe die Künstlerin einer Figur mit rasternden Punkten eine Kontur. Aus vier Quadraten zusammengesetzt, lassen sich die neuen Arbeiten aus der Serie „Dissection“ (Sezierung) sogar neu anordnen und ergeben jedes Mal eine völlig andere Komposition: Einmal sieht der Betrachter Spiderman im Zentrum, ein anderes Mal ein weibliches Gesicht.
Die Kunsthistorikerin und Szenografin Charlotte Tamschick beschreibt Muches künstlerisches Vorgehen als Verdichtung von Sehnsüchten, Leidenschaften und Rausch zu vielschichtigen Graffitis, Comics und flirrenden Farborgien. ,,Ihre Bilder und Skulpturen spielen mit Wahrnehmung, erzeugen Irritationen, Interferenzen, Gedankenmoirées. Das Bildnis wird verzerrt, gesprengt, löst sich auf – in den Raum des Möglichen.“ In jedem Motiv stecke Wiedererkennbares. ,,Doch bewegt man sich dabei auf dünnem Eis in die eigene Fantasiewelt“, schreibt die Kunsthistorikerin. Muches Motive seien „ein Spiegelbild ihrer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem szenografischen Gestalten von Raum, den narrativen und inszenatorischen Mitteln des Spielfilms, der Werbung und der Modewelt“. Tamschick spielt dabei auf den Werdegang der Künstlerin an, die in Karlsruhe Szenografie studierte und an der Kunstakademie München ihr Diplom im Fach Bühnenbild absolvierte. Geboren wurde Muche 1973 in Annecy in Frankreich, aufgewachsen ist sie in Deutschland. Sie lebt in Stuttgart. Hier befindet sich auch das Atelier der freien Künstlerin, die sich auf Malereien und auf Skulpturen konzentriert. ,,In Muches Bildern kann jeder etwas Bekanntes entdecken – aber sie bringt es in einen ganz und gar neuen Kontext“, sagt Wolfgang Kuhn, Sprecher des Vorstandes der Südwestbank. ,,Ihre in knalligen Farben gehaltenen Inszenierungen fordern uns heraus, selbst zwischen Gut und Böse, Schönheit und Hässlichkeit zu unterscheiden.“
Höchst aufmerksam sind sie, beobachtend. Nichts scheint ihnen zu entgehen, gleich, wo man sich im Raum aufhält. Die Rede ist von den exotischen Augen, die da aus dem mehrteiligen Bild an der Atelierwand blicken. Doch wen hat die Künstlerin muche da mit Acrylfarbe auf die Leinwand gebannt? Einen Tiger? In der Tat. Der gestreifte Kopf des wilden, stolzen Tieres ist erst aus der Ferne so richtig zu erfassen – „rrhhhggg“, plötzlich bekommt die Lautmalerei der Bezeichnung eine Bedeutung. Ja, manchmal spielt einem die Wahrnehmung Streiche. Und oft braucht es Abstand, um das große Ganze, das uns umgibt, nicht nur in den Augen zu behalten, sondern es vor allem auch zu erkennen und zu begreifen. Das gilt für die Werke der Stuttgarterin insbesondere – sowie für das Leben und das, was sie konstituiert, die Gesellschaft. Hier sind wir schon mitten drin, im Kosmos von muche, in der auf den ersten Blick alles ist, aber auf den zweiten nichts so ist, wie es scheint.
Nehmen wir einen anderen Vielteiler. Hier ist es ein Totenkopf, der sich langsam aus den Tiefen der Malgründe hervorschält. Gesetzt den Fall, die Einzelteile werden nicht umgehängt, was möglich ist. Denn anders an- und untereinander angeordnet sieht die Bilderwelt der muche schon wieder neu aus. Da sind dann mal Schönheiten zu entdecken, etwa Marilyn Monroe als Inbegriff des ewigen, gleichwohl tragischen Sexsymbols. Der Papst findet sich ebenso ein, wie allerlei Superhelden, die – „Snap“ – scheinbar die Welt retten. Oder auch nicht, weil sie gar nicht echt sind, nur Vor-Spieler und Projektionsflächen für die Sehnsüchte, Wünsche und Ängste des Betrachters. Da kann Superman, noch so stramm den Arm gestreckt, quer über die Leinwand fliegen, die Lauscher des Batman-Kostüms mögen noch so angespitzt sein. Letztlich sind alles nur Larven.
Gibt es vielleicht eine Zuflucht? „Come in we are open“ ist auf einem Bildgrund zu entdecken. Eine freundliche Einladung, aber offen wofür? Und offen wohin? Gibt es drinnen was zu kaufen, womöglich superbillig oder gar gratis? In einem neuen, nur anderen Tempel des Konsums, um das System zu erhalten? Oder hält das Zeichen, was es verspricht? Gastfreundschaft, Wärme, Hilfe, Offenheit für die Anliegen und Dinge, die einen treiben, zu betrachten, zu diskutieren, auszuloten, vielleicht gar zu lösen – unvoreingenommen, ehrlich, angstfrei, ganzheitlich, mit dem Willen, vielleicht neue Wege zu entdecken und diese auch zu beschreiten. Schaut daher die Frau mit dem Kopfputz so fragend, sich ihrer selbst bewusst werdend, während drunter ein Mann eine andere küsst? Eine Frau im Übergang, in einer „Transition“. Auch ihr Blick lässt den Betrachter nicht los, wie die der gefährlichen Tiere, horrenden Monster, sexy Babes, idolisierten Stars, heiligen Engel, predigenden Kirchen – oberen, kämpferischen Heldenfiguren, scheinbar idealen Schönheiten und alles, was uns sonst noch so im Fernsehen, in Filmen, Magazinen, Nachrichten, Zeitungen, auf den Straßen begegnet.
Sie alle geben sich ein dichtes Stelldichein bei muche. In knallenden Farben, rasternden Punkten, glitzernden Folien: Es klirrt, flirrt, irritiert, rebelliert, denn kaum erkannt, entschwinden sie wieder, die modellartigen Gesichter, Comicikonen, Tiere, Symbole, Zeichen, die uns scheinbar optischen Halt geben. Neues tut sich auf, in verschiedenen Techniken: Da wird nicht nur gemalt mit schnell trocknendem Acryl im Dialog mit den Sujets, da wird auch gezeichnet, überdruckt, mal pastos, oft lasierend, um aufreizende Einblicke in das Darunter zu gewähren, Transparenz zu suggerieren – und dann doch nicht alles freizugeben. Und freilich wird collagiert, etwa Punkte per Hand aufgeklebt, bis aus dem Raster ein Gesicht oder anderes entsteht – und die digitale Welt ad absurdum geführt.
Muche arbeitet in Serien. Hinterfragt, was Engel und Helden eigentlich sind, was sie uns heute bedeuten. Was real und irreal, Wunschdenken und Wahrheit, aufoktroyierte Sehnsüchte und echte Bedürfnisse sind. Wie in Metamorphosen, in denen aus Verpuppungen mitunter schönste Schmetterlinge schlüpfen – in der griechischen Mythologie die Seele, im Christentum für Auferstehung symbolisierend –, gehen ihre Protagonisten durch „Transitionen“, machen Phasen durch, wechselnde Zustände, entwickeln sich in die eine oder andere Richtung. Ihre „Dissections“, ihre Zergliederungen von Bildteilen, zeigen nicht nur, wie viele Darstellungen, damit Sehweisen und Möglichkeiten, in einem Bild stecken. Sie führen auch vor, dass die Dinge dieser Welt nicht schwarz oder weiß sind, sondern es viele Zwischentöne gibt, viele Schichten, viele Schattierungen und Nuancen, eben Perspektiven. Sind Monster wirklich böse? Sind Modellmaße wahre Schönheit? Und steckt hinter manchem super Fledermausmann doch eher ein „Bad Man“ – „Biedermann und die Brandstifter“ lassen grüßen. In seinem Drama, einem ›Lehrstück ohne Lehre‹, beschreibt der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, wie guter Wille falsch verstanden und angewendet zum Zündfunken für Katastrophen werden kann.
Nicht von ungefähr greift muche in ihren Werken unter anderem Zitate und Stilelemente – neben vielen anderen – von Pop Art, Street Art oder Graffiti auf. Denn dort spielt das Leben, dort stoßen die Kulturen und sozialen Schichten aufeinander. Und nicht von ungefähr hat sie als Titel für ihre aktuelle Präsentation „Intoxication Morale“ gewählt, die vergiftete Moral. Was meint dieser Begriff heute? Und wie ist es um die viel beschworene ›Political Correctness‹, die politische Korrektheit bestellt? Faktisch definiert bezeichnet die Moral jene Muster, Konventionen, Regeln und Prinzipien, nach denen bestimmte Individuen, Gruppen oder Kulturen handeln. Doch welche Moral welcher Gruppe ist die richtige? Wer bestimmt sie? Wie beeinflussen sie ein Individuum in Zeiten der unbändigen Bilder- und Informationsflut? In Zeiten, in denen Menschen in den Filterblasen ihrer Apps die neuesten News vorab sondiert, damit oft einseitig, bekommen und sich ständig selbst bestätigen. In einer Ära, in der unablässig die Schönste, der Beste, der Größte in Shows gesucht und vorgeführt wird, in der die Oberfläche, der schöne Schein über das Sein triumphiert, mutet ein Zitat des amerikanischen Zukunftsforschers John Naisbitt aktueller denn je an. Er schrieb bereits 1982 in seinem Buch „Megatrends“: „Wir ertrinken in Informationen und dürsten nach Wissen.“
Insofern erzählen die inszenierten Bildräume muches auch vom Zustand dieser Welt, von den Narrationen der Generationen und der Jetztzeit. Auch Historiker wie Per Leo betonen, dass es darum geht, diese Geschichten und Legenden der verschiedenen Systeme, der Gesellschaften zu untersuchen, die Symbole unter die Lupe zu nehmen, deren Sinn und deren womöglicher Sinn-Entleertheit auf den Grund zu gehen. Nur so könnten neue, zukunftsträchtige Narrationen entwickelt werden. Genau auf diesem Feld bewegt sich muche.
Sind ihre Inszenierungen also Abgrund oder Paradies? Muche fordert die Wahrnehmung. Ihr Panoptikum ist eine Analyse der Welt, eine Spurensuche nach Werten, Hoffnung, Haltung. Haarscharf – aber ohne moralinsauer erhobenen Zeigefinger – stellt die Künstlerin übermäßig bediente Kategorien zur Disposition, lässt den Betrachter entscheiden: Was ist gut und böse, schön und hässlich? Welches sind echte, welches falsche Helden? Was sind meine Helden? Habe, brauche ich überhaupt welche? Helden werden nicht geboren, sie werden gemacht. Nach dem US-amerikanischen Schauspieler Dustin Hoffmann müssen Menschen Helden sein, um den Lebenskampf zu bestehen. Wie schreibt noch der deutsche Dramatiker Berthold Brecht in seinem Stück das „Leben des Galilei“? Als darin der Universalgelehrte vor der Inquisition sein Heliozentrisches Weltbild widerruft und sein enttäuschter Schüler schreit: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, lässt er Galileo Galilei sagen: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
Wer schon einmal eine Rede von mir gehört hat, weiß, dass ich sehr gerne mit dem Satz „Das Allover der Reize verwirrt und fasziniert zugleich“ spiele. Aber selten war diese Aussage so passend wie heute und hier. Nicht nur die Wände des GARP-Bildungszentrums, auch die präsentierten Bilder in sich sind sehr voll geworden.
Come in and find out! Hier bekommen Sie was für ihren freien Eintritt.
Kommen Sie näher, schauen Sie mit! Girls, Girls, Girls! Sexy Schönheiten warten auf Dich! Aber eben nicht nur die! Sondern auch jede Menge Totenköpfe.
Wir leben in einer Welt der Reizüberflutungen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Muche hat sich dafür entschieden, mit der Bilderflut zu schwimmen, einzelne Protagonisten und Motive aus den Fluten zu fischen und uns als buntfarbene Augenkitzel zu präsentieren. Models aus Werbeanzeigen, Filmszenen, Comicfiguren wie die von muches Kindern „muchels“ getauften luftballon-artigen Kobolde, Raubtiere und Religionsvertreter werden regelrecht bunt durcheinander gemischt.
Männer sind interessanterweise kaum anzutreffen. Ein Gemälde von 2008 zeigt einen Mann als wild im Bild herumtanzenden Kasper mit auffallenden Lücken im Kopf und in der Hose.
Muche bekennt Farbe. Was auf den ersten, flüchtigen Blick möglicherweise als dekorative, farbenfrohe Erscheinung empfunden wird, offenbart beim näheren, intensiveren Hinschauen Tiefe und Gesellschaftskritik. Wenn muche zum Beispiel im Gemälde „Come in we are open“ einen kreisenden Haifisch über einer Gruppe positioniert, die wahrscheinlich aus wartenden Flüchtlingen besteht, kann das — auch zusammen mit dem Bildtitel — als kritischer Kommentar zu unserer sogenannten Willkommenskultur gewertet werden. Der das „Come in we are open“ -Schild zerreissende Superheld und der nicht mehr ganz frisch aussehende Papst tun dazu ihr Übriges, während die im Bild untergebrachten Friedenstauben und der aufreizende Blick der jungen Dame durchaus Positives verheißen.
Dermaßen irritiert traut man auch der Schönheit der Blumen in der Buntstift-Zeichnung rechts daneben nicht mehr so richtig und mag die möglicherweise bereits welkenden Blüten als „Memento Mori“-Symbole deuten, die uns die Vergänglichkeit allen Seins vor Augen führen. Und sehen die verwehten Haarsträhnen der Blumendame nicht wie Stacheldraht aus?
Und auch die Schmetterlinge im anderen Buntstiftbild auf der gegenüber liegenden Seite scheinen eher Fledermäusen zu ähneln oder verwelkten Blättern, die vom Baum fliegen. Vanitas-Symbole tauchen immer wieder in den Bildfindungen von muche auf.
Einem Großteil der Exponate wohnt ein Aufforderungscharakter inne. Vielleicht ist es Ihnen ja aufgefallen: Bereits auf der Einladungskarte werden wir von mindestens sechs Augenpaaren angeschaut. Und zwar frontal, face-to-face, von Auge zu Auge. Zumeist weit aufgerissene Augen. teils verführerisch geschminkt, scheinen überrascht zu sein, uns zu sehen und uns gleichzeitig zu einer Reaktion aufzufordern. Wir sind Beobachter, in dem einen oder anderen Fall vielleicht auch Voyeur, und zugleich Beobachtete. Gar keine Stellung zu den Bildern zu beziehen, fällt dem Betrachter schwer.
Sehr bewundernswert finde ich die präsentierte Spannbreite der Exponate. Auch wenn die auf der Einladungskarte und dem Ausstellungposter versprochenen „Plastiken“ kurzfristig (aus Platzgründen bzw. Platzierungsgründen) entfallen sind, ist bereits die Anzahl und Variationsbreite der gezeigten Techniken ungewöhnlich — und reicht von „klassischen“ Bleistiftzeichnungen (echte Fleißarbeiten!), über unklassische, teils auch Techniken wie die Frottage und das Sprayen aufgreifende Acryl-Gemälde bis zu Spiegelbeklebungen und zu Collagen mit Alu-Klebeband auf Papier.
Die an die Pop-Art-Werke von Roy Lichtenstein erinnernden und verweisenden „Rasterpunkte“ sind manchmal mit einem Stift getupft, manchmal gemalt, manchmal geklebt. Schwere und leichte Formen und Farben, konkrete Personen und Gegenstände, Muster und Farbnebel sind reizvoll ausbalanciert. Die Bilder gleichem einem munteren Neben- und Durcheinander von Figuration und Abstraktion, von gesprayten Farbwolken und -wölkchen, lediglich angedeuteten Chiffren und ausführlich formulierten Personen, Tieren und Objekten.
Überhaupt und wie bereits angedeutet scheint das Mischen, das Vermischen ein Faible von muche zu sein. Das Interesse der Künstlerin an den unterschiedlichsten Quellen und Themen führt zu Kombinationen „schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ – um mit Comte de Lautréamont zu sprechen.
In Modezeitschriften, Tattoo-Magazinen, Ausstellungskatalogen, auf T-Shirts, Postern, Friedhöfen und der Mattscheibe des Fernsehers gefundene, teils abfotografierte Protagonistinnen (und auch ein paar Protagonisten) vereinen sich zusammen mit den bereits erwähnten Rastermustern und Farbschlieren zum selbstverständlichen Stelldichein auf der poppig-bunten Bilderbühne.
Wenn ich auf der Einladungskarte mit dem Satz „Muche ist eine Sammlerin und Jägerin“ zitiert werde, ist das durchaus wörtlich zu nehmen. Wie ich gehört habe, werden auf den Beutezügen nicht nur allerhand Klebebänder, gerne in Neonfarben, erlegt, sondern auch Bastelmaterialien wie aufklebbare Sterne, oder auch Antirutschmatten für Teppichböden und Duschvorleger, die dann als Spray- und Malschablonen für geometrische Muster eingesetzt werden. Aber wie bereits Paul Valery wusste: „Finden ist nichts. Das Schwere ist, sich, das Gefundene anzuverwandein.“ Die eingesetzten Vorlagen und Materialien werden von muche mit einem exquisiten Gefühl für Komposition und Farbe kombiniert und konfrontiert.
Dass die Künstlerin berühmten Schauspielern und Filmszenen, namenlosen Models, Rasterpunkten, Mustern und Schriftzügen die gleiche Aufmerksamkeit in ihrem scheinbar schwerelosen, nicht weiter definierten Bildraum zukommen lässt, spricht für eine gelassene Sicht auf die hierarchische Strukturierung der Gesellschaft.
So wie die Grenzlinien zwischen den künstlerischen Techniken buchstäblich verwischt werden, werden auch die Schubladen Sein und Schein, Gut und Böse, Engel und Teufel, Mann und Frau, femme fatale und Angsthäsin, Leben und Tod, Komödie und Tragödie wild durcheinander gewirbelt. Schauen Sie nur mal in die Pupillen der Dame auf dem Bild „Come in we are open“ an: auf der einen Seite ein Hai, auf der anderen eine Friedenstaube. Oder in dem Collagebild „Eclairs – Ange‘“ die klassisch griechische Figur (vielleicht ein Engel mit gestutzen Flügeln?): Ist sie dabei die Erdkugel zu fangen oder sie wegzuwerfen? Spielt sie Volleyball oder Schicksal? So ist es eben auch im realen Leben da draußen vor der Tür. Eindeutige Grenzen zwischen Gut und Böse gibt es nicht. Gut Gemeintes kann trotzdem, böse Folgen haben. Komisches kann zugleich tragisch sein — und umgekehrt.
Dabei hat muche einen geschulten Blick für ambivalente Gestalten in der Filmgeschichte, der politischen Bühne und der Tierwelt. Marilyn Monroe war eben nicht nur die blonde Sexbombe. sondern auch die depressive, tablettensüchtige Norma Jeane Baker. Der Papst ist nicht nur der irdischer Stellvertreter Jesu Christi und Hirte der Universalkirche, sondern auch gegen die Abtreibung. Und der Löwe ist nicht nur der vermeintliche König der Tiere, sondern auch das größte Landraubtier Afrikas. Dass muche eine Serie „transition“ nennt, ist da nur konsequent. Viele Gemälde gleichen Vexierbildern. Manchmal sieht man den Wald vor lauten Bäumen nicht, bzw. den Tiger vor lauter Totenköpfen.
Sehr raffiniert finde ich das Angebot der Künstlerin, dass der Käufer sich die vier Elemente der „Dissection“ betitelten Werke verschieden zusammen setzen und so selbst die Bildaussage verändern kann. So können Sie — abhängig von der Stimmung zu Hause — die Schauspieler aus „Sin City“ zum Kuss vereinen oder sie in verschiedene Richtungen schauen lassen und auch bei den anderen Bildern verschiedene Versionen kreieren.
Sehr wohltuend finde ich den Schuss Humor, der bei den Spiegelbeklebungen eingesetzt wird. So wird die Poesie der „Little Dreams — Please“ betitelten Collage durch die Sprechblase „Schatz. bitte setz dich beim Pinkeln hin und spül! Merci“ doch ein wenig profanisiert.
Im Museum und in der Galerie sind Kunstwerke geschützt. Jeder, der sie dort besucht, ist prinzipiell schon mal an Kunst interessiert, hat zumeist Geld für die Anreise und/oder den Eintritt ausgegeben. Die Kunstwerke können also grundsätzlich gewisse Vorkenntnisse und eine bestimmte Toleranz erwarten. Hier im GARP-Bildungszentrum ist das anders. Keiner kommt — normalerweise — hier her, um Kunst zu schauen. Keiner hat wirklich die Muse dazu. Hier müssen die Kunstwerke mit der optischen Konkurrenz von Grünpflanzen, Lichtschaltern. Türen, Sitzgruppen und Feuerlöschern zurecht kommen. Und ich finde, dass schaffen die Bilder von muche sehr gut! Spannend wird es ja vor allem nach der Vernissage, wenn die Exponate Bestandteil Büro- und Lehr-Alltags hier auf dem Campus werden. Vielleicht vergisst mancher Mitarbeiter oder Lernende, von den Exponaten angesprochen und zu kreativen Gedanken angeregt, ja seinen eigentlichen Grund hier her gekommen zu sein. Vielleicht und hoffentlich kommen wegen den Kunstwerken manche gar freiwillig wieder. Das Gute an diesem Allover der Reize ist ja, dass es uns abhärtet für die Welt da draußen. Und die Ausstellung hat, trotz aller Totenköpfe, eine durchaus belebende Wirkung, wie ich gestern als kränkelnder Besucher merken konnte.
lch denke, ich sollte noch erwähnen, dass die Künstlerin die komplette Ausstellung selbst bzw. zusammen mit einer Freundin und ihrem Mann gehängt hat. Respekt!
Sie können lhrer Wertschätzung natürlich auch mit dem Ankauf eines Exponats Ausdruck verleihen.
Und nun: Machen Sie sich bitte auf ihre eigene Deja-Vu-Jagd, finden Sie ihr Lieblingsbild und eigene Erinnerungen und Assoziationen.
Es ist nicht jedermanns Sache, -für Wahrheit und Gerechtigkeit sich so zu interessieren, dass man auch da sie siehet, wo sie nicht ist, -und wenn der beobachtende Verstand vom Herzen so bestochen wird, so darf man wohl nicht sagen, dass das Herz zu edel sei – für sein Jahrhundert. Es ist fast nicht möglich, unverhüllt die schmutzige Wirklichkeit zu sehen, ohne selbst darüber zu erkranken; das Auge tut wohl, solange es kann, dem Splitter sich zu verschließen, und dem Rauch und Staube, der sich ihm aufdringt, und so ists auch ein schöner Instinkt des Menschen, manches, was nicht unmittelbar sein Stoff ist, fröhlicher anzusehen. (…)
(Hölderlin an Johann Gottfried Ebel, Frankfurt, den 10. Januar 1797)
Frisch gebügelt sind diese Bilder jedenfalls nicht.
Aufs Erste sind die Tableaux kleine Geschichten, die sich um monster-hafte Portaits zu einem Roten Faden zusammen finden. Symbole tauchen auf, Zeichen und Bildfetzen aus Alltagswelten. Menschen. Seltsame Gestalten. Rätselköpfe. Raumbilder. Gewebte Formen. Struktur. Weltenschimmer. -Grau, Schwarz über farb-gefluteten (eigentlich freundlichen) Flächen. Geschichten, Stories. Manchmal erinnern die Geschichten an Abläufe an Comics, bekannte Namen reizen zum Vergleich, manchmal. Manches scheint vordergründig lesbar, es gibt Abfolgen und Reihen und dann wieder aufgefächerte Zusammenhänge. Erzählungen eben. Man könnte sie vielleicht deuten. Auflösen? Man kann sie aber auch stehen lassen, ohne analytischen Kommentar. Hier versucht jemand konsequent bei sich zu bleiben.
Hinter den Zitaten ist eine eigene Qualität: Es wird nicht alles nur belanglos (wahrgenommen) Aufgenommen. Die Arbeiten von muche sind unabhängig und auf besondere Weise stolz.
Das gefällt mir, weil es eine traurige Noblesse erinnert. Unbändig.
Zwischen Zeitgeistern und Monsterfratzen verknüpfen sich die Spuren unserer Welt, die sich mehr und mehr kühl und cool zu Recht macht. Aufgerissene Mäuler mit scharfen Zähnen und bösen BlickMasken der großen leere. Stimmungstiefe. Nachdenklichkeits-Faszination. Die Bilder haben wohl durchaus eine Lese-Richtung, alle Elemente sind miteinander verwoben und verknüpft. Was archaisch anmutet, ist jedoch eine feine Art von Indianer-Methode, eine künstlerische Feldforschung. Was brutal und hart erscheint, verrät bei genauem Blick auch wieder jene zarte Empirie, die Rätselhaftes andeutet und das Eigene stärkt. ,,Abgründe der Weisheit“.
Die Farben sind manchmal grell, pink, trotzdem fein aufeinander abgestimmt in Linien und Netzwerken, in archaischen Zeichenbündeln und Symbolverkettungen. Zwischen tattooartigen Strukturen und Herzensbildern reflektiert die Künstlerin die Zeitenläufe aber ohne jemals platt zu werden.
Immer wieder brechen die Bilder ihre eigene Logik. Es findet keine vordergründige Verklärung der Jammerzeit statt. Die Bilder sind nicht etwa zynisch. Die Monster sind auch gleichzeitig optimistisch niedlich, sie nehmen sich auch nicht sehr ernst.
Es ist keinesfalls alles mit de-konstruier-barer Tiefe aufgeladen. Bei aller Intimität und Verdichtung bleiben sie auch kokett im Ungefähren. Emotion wird Distanz- Verlorenheit wird Nähe.
Wie im Spiegelbild verdrehen sich die Zustände, es bleibt undurchsichtig und unauflösbar. Verblüffend erscheinen wohl Seelenräume in den Bildern, wie magische Südsee-Gedichte, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Man kann die Bilder nicht wirklich aufbrechen oder deuten. Immer funktionieren sie auch gegen die allzu gewöhnliche Leserichtung. Sie sind stolz, voll feiner Ironie, Malereigesteien zwischen Gestalt und Sinn – in feinen Brechungen malerisch gezeichnet (wenn das geht) und sorgsam geführt. Sie erscheinen auf den Bühnenräumen wie eine Revue der Kuriositäten ein Käfig, vollgestopft mit den Zutaten der Tagtäglich-Rezepte unserer Welt.
Das Unauflösliche bleibt spannender Ausgangspunkt, aber die Künstlerin erhält sich geschickt und trickreich die Freiheit zur reinen Malerei (oder Zeichnung). Seltsamerweise funktionieren die Bilder auch ohne Inhalt, als abstrakte Flächen und Linien und Formen ohne Rituale.
Dann wirkt die Struktur und Abstraktion-die Monster verkümmern, so betrachtet, dann auf der Oberfläche. Deshalb hält oft auch ein ornamentales Muster die Bilder zusammen und schafft Tiefe.
Wer weiß (oder aus ihren Skizzenbüchern entnimmt). dass die Arbeit der Künstlerin von Szenographie und Bühnenbild geprägt ist, der erkennt, die methodische Nähe. Die Bühne ist nicht nur verführerisch sondern eben auch ein wunderbares Mittel der Formgebung. Die Malerei reagiert, bezieht Position, gerade in den formalen Qualitäten. Sie verweigert sich der Eindeutigkeit in verhüllender Umschreibung. Deshalb womöglich auch die Netzwerkstrukturen und Geflechte aus Linien und unscheinbaren zeichenhaften Symbolen.
Deshalb werden viele Bilder auch frech und witzig und sie müssen sich nicht so ernst nehmen in ihrer unbefangenen, feinen und spielerischen Ironie zwischen abstrakt und konkret.
Und dennoch: Diese Kunst trifft messerscharf ins Herz der Zeit. Sie schneidet (endlich einmal) nicht am Leben vorbei, sondern mitten ins machtlose Herz, ins brüchige Zentrum unserer Leben.
Die ganze respektlose Unruhe der Welt, das bittere Durcheinander an schmerzlichen Verdrehungen und starrer Plattheit …
Jenseits der Idylle netter Kunst, findet sich hier fürs Erste ein wahrhaftiger Ansatz. Es wird reagiert, ins Tagebuch der Zeit geschrieben, gedeutet, durchlebt, durchlitten, erobert und munter zusammengesammelt. Ohne falsche Sentimentalitäten erscheint hier wieder eine Position möglich, -die Codes von Gewalt und Zerstörung werden hintergangen. Die Bildsequenzen verraten die stumme Zerrissenheit der Monster. Das ist vielleicht am Ende anarchistisch: „Rites de Passage“.
Verwunderlich ist, dass diese Bilder in ihrer gewaltigen Intimität (innigster Momente) eine (nicht mehr gekannte) moralische Position von Menschlichkeit beziehen und aus dem Zentrum des Zweifels heraus, berühren. Der blinde Fleck.
Die Babylonische Gegenwart, das soziale Unglück einer bleiernen Zeit, jenseits von Konsum und Kommerz, Klassik und Tradition bringt oft nur (wie einen Phantom-Schmerz) reaktionäre Wut hervor. Selten findet der Dschungel einen richtigen Ausdruck, selten entsteht eine angemessene (Bild-) Sprache.
Diese Kunst weicht nicht zurück, lässt sich nicht zur Strecke bringen, sie hält aus, was brüchig geworden ist. Und sie entreißt der zwielichtigen Anonymität das Unbehagen.
Malerei – oder: Auge der Zeit. Wer sonst?